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Eine meisterliche Apfelsorte
Das ist ein Apfel! Weltmeisterlich. Und das mit 356 Jahren! Das Licht der Welt erblickte die Sorte ‚Gravensteiner‘ 1669 als Zufallssämling in Dänemark (Holstein?). Sie breitete sich weltweit aus, reiste im Gepäck von Auswanderern nach Nordamerika, wird in USA und Kanada auf Gravensteinerfesten jedes Jahr ausgiebig gefeiert, wurde dort in „Archen des Guten Geschmacks“ aufgenommen, 2005 zu Dänemarks Lieblingsfrucht gekürt. Die Äpfel haben ein unvergleichlich würziges Aroma, spenden köstlichen Saft und, rein gebrannt, wunderbare Obstwässer.
‚Gravensteiner‘ passt sich klimatisch gut an, gedeiht selbst im warmen Tirol, tendiert in jüngster Zeit allerdings stärker nach Skandinavien. Die Sorte braucht vor allen Dingen gleichmäßig feuchten, humosen Boden. Intensive Winterfröste sind nicht nach ‘Gravensteiners‘ Geschmack, zumal die Blüten etwas frostempfindlich sind. Da die Bäume aber je nach örtlichen Gegebenheiten ab April bis Mitte/Ende Mai lange blühen, ist Totalausfall selten. Man pflanze jedoch nicht an kalte, zugige Stellen oder sogar in Frostlöcher. Geeignete Pollenspender sind unter anderem ‚Glockenapfel‘, ‚Cox‘, ‚Berlepsch‘, ‚Pilot‘ und weitere. Die Sorte selbst ist schlechter Pollenspender, da diploid. Eine Besonderheit ist der Hang zur Jungfernfrüchtigkeit, indem kernlose Früchte entstehen.
Die Schale von ‘Gravensteiner‘ fühlt sich fettig an und ist zuerst bei reifenden Früchten gelbgrün, färbt sich vollreif sattgelb, sonnenseits oft karminrot geflammt oder marmoriert. Es gibt Farbmutanten, also Abweichungen von der ursprünglichen Farbe. Früchte von zurückhaltend gefärbten Sorten sind meist geschmackvoller als ganz rote Mutanten. Man lasse sich nicht von mehr Farbe verführen.
Die Früchte sind ab Ende August bis Anfang September pflückreif, genussreif von September bis Oktober, in kühlen Kellern bis November. Man pflücke nicht zu früh, weil dann die Äpfel weniger gut schmecken. Mitunter rätselt man über den richtigen Termin, weil etliche Früchte früh fallen. ‚Gravensteiner‘ hat als besondere Eigenart einen auffallend kurzen Stiel. Die höckrige, wulstige Umgebung der Stielgrube wächst so, dass mitunter der kurze Stiel nicht mitkommt, gezwungen wird, sich zu lösen zum Vorerntefruchtfall. Wer weiß, warum das so ist, nimmt es gelassener.
Um leichten Hang zum Ertragswechsel zu unterbinden, dünne man bei niedrigen Baumformen starken Fruchtansatz aus und schneide regelmäßig, jedoch nicht zu stark. ‚Gravensteiner‘ ist etwas anfällig für Schorf und Mehltau sowie Stippe, die Früchte ungenießbar macht. Allgemeine Düngung ist mäßig zu handhaben, dagegen auf gute Kalkversorgung zu achten oder spezielle Kalkgaben anzuwenden. Wer will, kann ‚Gravensteiner‘ im eigenen Garten ernten, denn Pflanzmaterial wird ausreichend von deutschen Baumschulen angeboten, als Hoch- oder Halbstamm und Spindelbusch.
Ilse Jaehner