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Jetzt im Herbst kann man sie vermehrt finden: Spinnennetze. Da wir aber nicht in Hollywood sind und keinen Horrorfilm drehen, werden in diesen Netzen hauptsächlich Insekten, aber niemals Menschen gefangen. Sollte man wenigstens meinen. Es kann aber auch anders kommen – wie ich vor ein paar Tagen feststellen musste.
Am meinem Garteneingang wird das Gartentor rechts von dem Gerätehaus und links von einer Kletterrose eingerahmt. Diese zwei „Pfeiler“ stehen ungefähr 1,50m voneinander entfernt, damit ich auch beladen den Durchgang problemlos passieren kann. Als ich eines Morgens diesen Weg nahm, bemerkte ich ein leichtes Knistern und eine zarte Berührung in meinem Gesicht. Da auch die Lippen diese Berührung wahrgenommen hatten, signalisierte mein Gehirn: unbekannte Gefahr! Automatisch duckte ich mich und wehrte mit den Armen den anonymen Gegner ab. Schnell stellte ich fest: da hatte doch tatsächlich eine Kreuzspinne ein Netz mit solch einem riesigen Umfang dorthin gebastelt, dass sogar ein Mensch „gefangen“ werden konnte! Mit meiner Körpergröße hatte ich natürlich genügend Punkte, an denen das Netz mich erwischen konnte. Bart, Augenbrauen und Mütze waren von jetzt auf gleich mit Netzfetzen übersät. Da die Fäden zudem kleine Klebetröpfchen haben, bekamen meine Brillengläser eine zusätzliche, aber ungewollte „Schutzschicht“, die nicht einfach so weggewischt werden konnte, sondern eine intensive Reinigung erforderte.
Bei dieser Mensch-Tier-Begegnung hatte ich noch das Glück, dass die Spinne am Rand des Netzes und nicht in der Mitte gesessen hat. Was ich dann alles hätte erleben können, möchte ich mir nun nicht ausmalen, um zu verhindern, dass ein unschöner Film in meinem Kopfkino eingeschaltet wird…
Es war wirklich beeindruckend, dass diese Spinne es geschafft hatte, auch solch einen enormen Abstand zu überwinden. Einer ihrer Tricks: einen Faden aus ihrer Spinndrüse pressen und es dem Wind überlassen, den Faden zu transportieren. Wenn er sich irgendwo verhakt, testet sie die Festigkeit, läuft an ihm entlang und beginnt auf dieser Grundlage hin, das weitere Netz zu fertigen. Hört sich einfach an, ist aber eine Meisterleistung für so ein kleines Tierchen, das im Übrigen nicht zu den Insekten zählt.
Da ich Spinnen eher interessant als erschreckend finde (wie doch die meisten Menschen – oder?), tat mir das Tier doch irgendwie leid, da es sich so viel Mühe mit dem Riesennetz gegeben hatte und ich es in Sekundenschnelle zerstörte. Spinnen sind es allerdings gewohnt, dass ihre Netze nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Sie erneuern täglich ihre Fangapparate, was meistens nachts geschieht. Dabei verhalten sie sich sehr umweltbewusst; denn sie recyceln das alte Netz (wenn der Mensch es nicht in seinen Haaren mitnimmt), indem sie es fressen und für den Neubau wieder verwenden. So filigran und imposant so ein Radnetz auch ist, eine erwachsene Kreuzspinne schafft das in 30 bis 45 Minuten! Junge Kreuzspinnen fertigen anfangs weniger stabile Netze, so dass sich größere Insekten oftmals selbst wieder befreien können und nur fliegende Blattläuse als Nahrung übrigbleiben.
Obwohl Spinnen bei ihrer Nahrungsauswahl keinen Unterschied zwischen Schädlingen und Nützlingen machen, gehören sie eher in die Kategorie „Helfer der Menschen“. Viele dieser Menschen sehen das allerdings anders und rücken den effektiven Mücken- und Fliegenfängern mit Pantoffeln, Fliegenklatschen und Staubsaugern zu Leibe.
Da „meine“ Kreuzspinne ihr Netz immer wieder am Gartentor spann, hatte ich mir angewöhnt, mit rudernden Armen für ein netzfreies Durchgehen zu sorgen. Nach wenigen Tagen hatte ich die Frustschwelle der Spinne soweit verringert, dass sie entnervt eine andere Stelle wählte, um ihren Hunger zu stillen. Was ich nicht bedachte: es gibt nicht nur diese eine – als ich heute Morgen ein paar Blättchen Salbei holen wollte, verspürte ich es wieder: diese zarte Berührung auf der Haut und dazu das feine Knistern in den Ohren…
Manfred Kotters