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Wenn ich dieses Beerenobst schneide, hole ich immer die dicken, ledernen Schweißerhandschuhe mit den langen Stulpen aus dem Schrank. Die ziehe ich nur zweimal im Jahr an: wenn die Stachelbeeren geerntet, und wenn sie im Winter geschnitten werden. Eigentlich würde es sogar reichen, wenn ich nur den linken Handschuh hätte, da ich lediglich mit dieser Hand die Zweige zur Seite drücke, um mit der rechten ungeschützt aber gefühlvoll arbeiten zu können. Ja, ich weiß, es gibt auch dornenlose Stachelbeeren, aber meine langjährige Sorte schmeckt gut, bringt mir einen ordentlichen Ernteerfolg und bekommt keinen Stachelbeermehltau – da nehme ich die Wehrhaftigkeit gerne in Kauf. Das mit dem Stachelbeermehltau ist so eine Sache: zwar wurde meine Sorte beim Kauf vor über 40 Jahren als resistent gegen diesen Mehltau bezeichnet, doch es ist festgestellt worden, dass diese Widerstandsfähigkeit im Laufe der Jahre abnehmen kann, da der Pilz eine Unmenge an Sporen (=Pilzsamen) produziert und deshalb Erbgutveränderungen auftreten können. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er auf Dauer die Resistenz überwindet. Trotzdem habe ich keine Probleme mit dieser Krankheit, die sowohl die Blätter und Blüten als auch die Früchte befallen kann. Diese bekommen dann einen braunen, pelzigen Belag und reifen kaum noch aus. Durch den Befall der Triebspitzen wird zudem das Wachstum beeinträchtigt und die gesamte Pflanze geschwächt. Mein simpler Trick: jedes Jahr im Januar/Februar die Triebe kürzen und den Strauch dadurch licht- und luftdurchlässiger machen. „Triebe kürzen“ heißt: Langtriebe kräftig zurückschneiden und die kurzen Triebe (aber wirklich sämtliche!) zumindest entspitzen, denn in den Triebspitzen und in den eventuell noch verbliebenen Fruchtmumien (=eingetrocknete Früchte vom Vorjahr) überwintert der Mehltaupilz! Um die Verbreitung der Sporen aus diesen abgeschnittenen Spitzen zu vermeiden, sollen die Schnittreste den Garten komplett verlassen; schließlich können die Sporen auch die schwarzen Johannisbeeren infizieren. Wo es erlaubt ist, kann man sie verbrennen – ich entsorge sie in der Biotonne.
Worauf achte ich bei den Schnittarbeiten? Da ich keine Hochstämme, sondern Sträucher habe, habe ich die Möglichkeit der stetigen Verjüngung – und das schon seit Jahrzehnten. Um den Sträuchern, die bereits seit über 20 Jahren an derselben halbschattigen Stelle wachsen, gute Wachstumsbedingungen zu bieten, dünge ich jährlich mit Kompost, der durch die zergangenen Pflanzenreste zumeist recht kalireich ist – was den Stachelbeeren sehr entgegenkommt. Vorsichtig sollte man allerdings mit Stickstoff sein, da er das Wachstum stark anregt und dadurch die Triebspitzen zu weich und anfällig für den Mehltaupilz werden. Bevor ich loslege, schaue ich mir den jeweiligen Strauch von allen Seiten genau an und entscheide, welche zwei bis drei Alttriebe, die an der dunklen, gröberen Borke zu erkennen sind, komplett weggeschnitten werden können und welche frischen Bodentriebe für eine Verjüngung sorgen sollen. Dabei achte ich sowohl auf eine luftige Verteilung der verbleibenden Triebe als auch auf eine ausgewogene Mischung von Alt- und Jungtrieben, um stets eine gute Ernte zu erzielen.
Mit der kräftigen Astschere entferne ich die auserkorenen etwas dickeren, alten Triebe bodennah. Die einjährigen neuen Bodentriebe werden bis auf die oben erwähnten Erneuerungstriebe komplett entfernt. Die verbleibenden werden lediglich entspitzt, wobei das obere Auge (=Knospe) in eine Richtung zeigen soll, in der die Pflanze noch genügend Raum hat, um den daraus entstehenden Trieb ungehindert wachsen zu lassen. Als nächstes werden trockene, geknickte, abgebrochene, nach innen wachsende und zu eng stehende Zweige entfernt. Dabei achte ich auf eine möglichst ausgeglichene Verteilung der Zweige zu allen Seiten, um eine optimale Fruchtverteilung am Strauch zu bekommen und um mir so die spätere Ernte zu erleichtern. Beim Schneiden finde ich hin und wieder Doppeltriebe, bei denen aus einer Knospe zwei Triebe entsprungen sind. Hier verbleibt nur der kräftigere. Wenn ich die unteren Zweige beschneide, achte ich darauf, dass als letztes ein nach oben zeigendes Auge verbleibt. Ein nach unten zeigendes Auge würde durch den entsprechenden Austrieb dafür sorgen, dass der spätere Fruchtbehang den Zweig Richtung Boden ziehen würde, was Lichtmangel und Verschmutzung der Beeren zur Folge haben könnte.
Bei den Schnittarbeiten achte ich darauf, dass auch das kleinste abgeschnittene Zweigstück den Weg in den Sammelbehälter findet. Wenn solch ein dornenbewehrtes Ästchen nämlich unkontrolliert auf ’s Beet fällt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich entweder negativ auf das Luftvolumen in meinem Schubkarrenreifen oder sich schmerzhaft beim Unkrautpflücken bemerkbar machen kann; denn Stachelbeerdornen zergehen nicht so rasch.
Was ist noch wichtig beim Schneiden der Stachelbeersträucher? Warme Kleidung! Januar/Februar ist ja noch Winter. Ich warte deswegen auf einen Tag, der folgende Voraussetzungen bietet: wenig Wind, kein Niederschlag und frostfrei. Das sind dann die optimalen Bedingungen – sowohl für mich als auch für den Strauch.
Diese Arbeiten lohnen sich auf jeden Fall, da Stachelbeeren keinen Sonnenplatz benötigen, um gut auszureifen, sondern schon mit Halbschatten zufrieden sind. Sie sind überdies stets für eine reiche Ernte gut, schmecken hervorragend und sind trotzdem eher selten als Brotaufstrich im Verkaufsregal zu finden. Aus diesen Gründen passt so ein Naschstrauch eigentlich in jeden Garten.
Empfehlenswerte schmackhafte und mehltaufreie Stachelbeer-Sorten: Rote Sorten: Leora, Laprima und Relina (dornenarm); Gelb-grüne Sorten: Tatjana (dornenarm) und Invicta.
Foto und Text: Manfred Kotters