Chancen und Enttäuschungen

Die neuen Kataloge sind da 

Neues Jahr – neue Kataloge – neue Sorten. Im Laufe der Jahre hat sich bei mir herauskristallisiert, dass ich hauptsächlich bei zwei Händlern mein Saatgut bestelle. Deshalb bekomme ich von denen auch stets die aktuellen Kataloge zugesandt. Ich ziehe den Einkauf beim Online-Händler vor, da ich hoffe, stets frische Samen zu erhalten. Im Laden dagegen kann es sein, dass die Tüten bereits längere Zeit in zu warmen Räumen gehangen haben und die Keimfähigkeit dadurch gelitten haben könnte. Beim ersten Durchblättern speichere ich in meinem Kopf schon mal kurz ab, was in diesem Jahr so alles die Gemüsebeete und später meinen Gaumen erfreuen soll. Spinat, Salat, Stangenbohnen, Möhren und das andere alljährliche Gemüse sind schnell abgehakt. Ich kenne schließlich meine Sorten, die ich seit Jahren erfolgreich anbaue. Daneben halte ich immer ein Beet in Reserve, auf dem Platz ist für neue Gemüsearten. Das sind dann die Chancen, die die Kataloge mir bieten; aber mich erwarten auch stets Enttäuschungen – aber dazu später.  

Vor Jahren wagte ich mich an den Anbau von Zuckermais (Sorte ‚Tatonka‘), der seitdem zum festen Repertoire gehört, da er recht problemlos im Anbau ist und sehr gut schmeckt. Begeistert bin ich ebenfalls von dem Chili ‚Lila Luzy‘. Neben den außergewöhnlich lila Blättern bringt sie auch lila Blüten hervor. Daraus werden rund 2 cm lange Früchte, die anfangs ebenfalls dunkellila sind, dann immer heller werden, um in Rottöne umzuschlagen und im strahlenden Rot zu enden. Da immer neue Blüten erscheinen, hatte ich im Sommer alle Reifezustände gleichzeitig an der Pflanze, was ein farbenprächtiges Bild ergab. Zwei reife ‚Lila Luzy‘-Früchte kleingeschnitten im Paprikasalat ergeben eine (noch) angenehme Schärfe. Dieser Chili wächst nun in jedem Jahr im Kübel auf meiner Terrasse – das steht 100-prozentig fest.   

Im vergangenen Sommer habe ich Winterblumenkohl (Sorte ‚Balak‘) gepflanzt, der die kalte Jahreszeit problemlos überstehen soll und seine weiße Blume erst April/Mai des kommenden Jahres der Küche zur Verfügung stellen soll. Die Pflanzen sehen jetzt im Dezember gut aus; mal schauen, ob wir im zeitigen Frühjahr tatsächlich etwas ernten – es bleibt also spannend.   

Auf eine Tomaten-Mozzarella-Platte gehört Basilikum wie die Sahne zu Erdbeeren. Dieses Gewürz hat deswegen einen festen Platz auf meiner Bestellliste und im Gewächshaus. Der passendste Geschmack ist für mich immer noch der vom ‚Genoveser Basilikum‘. Durch Zufall bekam ich im letzten Frühjahr ein paar Samenkörner vom Zitronen-Basilikum, die ich umgehend aussäte. Ein paar von den Blättchen ergaben in den Salaten eine angenehm dezente Geschmacksnote. Ergebnis: kommt in diesem Jahr ebenfalls auf die Bestellliste.   

Vor einigen Jahren habe ich Auberginen (Sorte ‚Madonna‘) aus Samen gezogen. Es ist zwar eine recht exotische und selten zu sehende Pflanze im Hobbygarten; aber die Anzucht und der Anbau ähneln dem der Paprika – es war also nicht wirklich Neuland für mich. Die violetten Früchte brachten eine ungewöhnliche Farbe ins Gewächshaus und ich würde sie bestimmt regelmäßig anbauen, wenn Auber­gine unsere Geschmacksrichtung wäre – ist sie aber nicht. Schade.  

Vor wenigen Jahren habe ich die kletternde Zucchinipflanze ‚Black Forest‘ versuchsweise im Garten angebaut. Sie bildete eine Ranke, die über drei Meter lang wurde und von mir an einem Gerüst geleitet wurde. Unermüdlich brachte sie Früchte guter Qualität hervor und erlag dem unvermeidlichen Mehltaupilz erst im späten Herbst. Dann plötzlich verschwand sie aus den Katalogen und war kaum noch zu ergattern. Na gut – es gibt andere hervorragende Sorten. Aber es war schon irgendwie schade, auf diese zuverlässige Sorte zu verzichten, die ich gerade erst kennengelernt hatte.  

Ähnlich war es beim Feldsalat. Viele Jahre war die Sorte ‚Vit‘ mein Favorit. Frosthärte und Mehl­tautoleranz sorgten für reiche Ernten. Dann wurde die Sorte ‚Baron‘ angeboten. Diese sollte ebenfalls frosthart und darüber hinaus hoch mehltautolerant sein. Da die milden Winter den Feldsalat verstärkt mehltauanfällig machen, ist solch eine Toleranz wichtig. Um einen direkten Vergleich zu haben, baute ich beide Sorten parallel an; tatsächlich war die Sorte ‚Baron‘ besser, da sie ein breiteres Blatt hatte und der Ertrag höher war. Also wechselte ich zu ‚Baron‘. Was musste ich im neuen Katalog feststellen: diese Sorte ist aus dem Sortiment verschwunden. Neuerscheinungen findet man in solch einem Bestell­katalog zuhauf; das ist schön und gleichzeitig auch nicht. Schön, da es unbekannte Gemüse zum Ausprobieren gibt; nicht schön, wenn gewohnte Sorten verschwinden oder durch andere Sorten ersetzt werden. Der frühere Werbespruch: „XY – da weiß man, was man hat!“ wird durch dieses Verhalten ausgehebelt. Man ist gezwungen, einen neuen Weg einzuschlagen –  unbekannte Sorte probieren oder im Internet danach suchen, wer die Sorte noch anbietet.   

Auch bei meiner geschmacklich besten und ertragreichsten Paprikasorte ‚Pinokkio‘ musste ich dieses Verschwinden erleben. Zwar kostet ein Samenkorn umgerechnet über einen Euro, aber bei der Qualität bin ich gerne bereit, das zu bezahlen; den Ernteerfolg kann ich nämlich fest einplanen. Bei unbekannten, preiswerten Sorten kann es vorkommen, dass gerade mal drei Paprikafrüchte ausreifen – das weiß ich aber erst, wenn das Jahr um ist. Es ist schließlich nicht wie bei einer neuen Biersorte, die man probiert und bei Nichtgefallen am nächs­ten Tag durch eine andere ersetzen kann. Nun verschwindet die ‚Pinokkio‘ aus dem Sortiment meiner Stammlieferanten. Zum Glück haben andere Händler den Samen im Programm; das bedeutet aber auch, dass ich zusätzliche Versandkosten bezahlen muss. Oder ich verzichte und glaube den Versprechungen der Katalogtexte unter den Alternativ-Sorten. 

Sicherlich haben die Produzenten und Händler gute Gründe, ihr Sortiment umzustellen: bessere Fruchtqualität und Krankheitsresis­tenz oder höhere Erträge und besserer Geschmack. Aber es ist unter Umständen ein langwieriger und zusätzlicher Prozess für uns Hobbygärtner, eine neue, geeignete Ersatzsorte finden zu müssen, obwohl man ja eigentlich schon sein Ziel mit der bewährten Sorte erreicht hatte. Wie der englische Nationaltrainer sagte, als er 1966 mit seinem Team die Fußball-Weltmeisterschaft errang: „Never change a winning Team.“ („Verändere kein erfolgreiches Team.“).    

Manfred Kotters   

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