Nicht nur die Maus lernt niemals aus

Eigentlich ist es eine sichere Methode: kleine Säckchen aus Gardinenstoff schützen Früchte vor Vögel, Wespen und grobem Schmutz. Besonders effektiv ist das bei Trauben oder auch bei Äpfeln, die in den letzten Jahren beliebtes Ziel von Amseln geworden sind. Oft picken sie nur einmal in den Apfel und ziehen dann weiter. Die Folge: schnell kommen Wespen, um den Piks zu vergrößern und letztendlich erledigen Fäulnispilze den Rest. Mit den Säckchen habe ich diesen Gesellen eine un­überwindliche Barriere vor ihre Mahlzeit geschoben. Doch neben diesen zwei- bzw. sechsbeinigen Mitessern gibt es auch vierbeinige: Mäuse! Die haben jetzt entdeckt, dass sich in den weißen Apfelbaum-Anhängseln etwas Leckeres finden lässt. Wahrscheinlich gehen sie der Nase nach; denn sehen können sie die eingepackten Äpfel nicht. Da Mäuse zudem regelrechte Kletterkünstler sind, stellt es für sie auch keine Schwierigkeit dar, sich an den dünnen Zweigen entlang zu hangeln, um am Ziel Löcher in die Beutel zu beißen und sich danach vitaminreich zu ernähren. Für mich heißt das: Apfel weg, Säckchen unbrauchbar. Anfangs hatte ich ein Eichhörnchen, das sich ab und zu in unserem Garten blicken lässt, im Verdacht, doch die kleinen, länglichen Hinterlassenschaften verrieten dann doch die beliebte Katzennahrung. Auch bei meinen eingepackten Trauben haben die Nager schon zugeschlagen: Säckchen, die mit der Wand in Berührung kamen, hatten nach dem Eingriff der Mäuse ein Loch an der Rückseite – und keine Trauben mehr. Bei aller Wehmut wegen meiner entgangenen ­Ernte, muss ich (etwas zerknirscht) zugeben: ­irgendwie ganz schön clever!  

Waren gerade die Säugetiere im Vorteil, sind im Folgenden die Vögel die Lernfähigen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass vor Jahrzehnten menschenähnliche Vogelscheuchen die gefiederten Freunde davon abhielten, Kirschen oder Saatgut unaufgefordert zu verzehren. Heutzutage jedoch wissen die Vögel: wo eine Vogelscheuche steht, da gibt’s was Gutes zu futtern. Wenn diese Scheuchen sich nicht ruckartig bewegen oder plötzlich Knallgeräusche von sich geben, sind sie sogar als Sitzplatz bei den Vögeln beliebt. Der Mensch muss sich also immer etwas Neues einfallen lassen, um die Vögel auf andere Gedanken zu bringen. Es bleibt wahrscheinlich ein ewiges Rennen: Hase gegen Igel.  

Insbesondere Krähenvögel, wie Dohlen, beobachten ihre Umgebung genau. Schnell erkennen sie ihre Vorteile und verhalten sich dementsprechend. So hat ein Bekannter von mir gesehen, dass sich Dohlen auf’s Dach von Nistkästen setzen, sich nach unten beugen, um leicht mit dem Schnabel gegen die Vorderwand zu klopfen. Die jungen Meisen interpretieren das Geräusch als Ankunft eines Elternpaares und schauen neugierig und hungrig durch das runde Loch. Darauf haben die Dohlen gewartet: sie schnappen sich das Jungtier und fliegen damit fort. Im Tierreich ist das leider normal: fressen und gefressen werden. Allerdings hat in unserer Gegend neben den Dohlen auch die Anzahl der Elstern und Eichelhäher derart zugenommen, dass sowohl Eier als auch Jungvögel in den Nestern immer häufiger diesen Krähenvögeln zum Opfer fallen. Da auch das Insektenangebot rapide abgenommen hat, ist diese Entwicklung für manche Singvögel in der Tat dramatisch.  

Nein, es gibt bei den Tieren nicht nur Lern­erfolge, die uns Hobbygärtner ärgern – manchmal hilft uns ihr Besserwissen sogar. Es hat zwar recht lange gedauert, aber mittlerweile sieht man es immer häufiger: die Raupen des Buxbaumzünslers werden von Vögeln als Nahrungsquelle entdeckt. So wie wir Menschen exotische Früchte oder Tiere erst mal mit kritischen Blicken beäugen, so haben sich Meise und Co. auch zu Anfang skeptisch gegenüber den unbekannten Raupen gezeigt. Ob sie nun beim ersten Probieren auf den Geschmack gekommen sind oder ob die Insektenknappheit sie quasi gezwungen hat, Neues auszutesten, ist dabei zweitrangig: Hauptsache der Zünsler hat nun einen naturnahen Gegenspieler. Auch die früher verschmähten Raupen vom Eichenprozessionsspinner und die Maden der Stachelbeerblattwespe werden anscheinend vermehrt verzehrt.   

Na – das sind doch positive Signale. Deshalb sollte man auch nicht zu schnell resignieren, wenn neue Schädlinge auftauchen. Die Natur schafft es oftmals, aussichtslos erscheinende Probleme zu lösen – allerdings nur, wenn man sie auch lässt! Vielleicht werden sogar die gefürchteten Kirschessigfliegen einmal zur Lieblingsspeise eines Vogels oder eines anderen Insektenfressers.   

Sogar wir Menschen können also von den Tieren etwas lernen: immer neugierig bleiben und keine Scheu haben, auch mal über den Tellerrand hinaus zu blicken; und schon können sich scheinbar unlösbare Probleme in Luft auflösen oder sich neue Welten auftun. Dabei ist es ganz einfach: ein Garten-Gespräch mit dem Nachbarn, ein Artikel im Internet oder in der Gartenzeitschrift lesen und ganz wichtig: so oft wie möglich an ­Seminaren und Weiterbildungen teilnehmen – besonders im Gartenbereich gibt’s immer wieder neue Erfahrungen oder Forschungsergebnisse. Deshalb: nicht nur die Maus lernt niemals aus!             

Manfred Kotters


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