Man schützt nur, was man kennt

Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Erbse und einer Bohne? Klar – Null Problemo! Und zwischen einem Weißkohl und einem Wirsing? Oder können Sie ein Weizen- von einem Roggenfeld unterscheiden? Wenn Sie jetzt ins Grübeln kommen, seien Sie versichert: Sie grübeln nicht alleine; das Wissen über die Tier- und Pflanzenwelt hat merklich abgenommen. Natürlich kann man nicht alles wissen und kennen. Nur die wenigsten haben schon mal eine Artischockenpflanze oder eine Pastinake leibhaftig gesehen. Auch ich staune oftmals, was ich alles nicht weiß, wieviel Neues ich ständig höre und wieviel ich darüber hinaus schon wieder vergessen habe. Aber heutzutage fehlt vielen Zeitgenossen sogar das einfache Grundwissen.    
So wundern sich manche über eine „exotische Pflanze“, die sich dann als eine ganz normal wachsende Kartoffel entpuppt. Andere stehen vor einem Beet und fragen sich, ob das nun Schnittlauch oder Petersilie sein soll. Wieder andere sind der festen Überzeugung, dass sowohl Blumenkohl als auch Zucchini unterirdisch heranreifen. Sie denken jetzt sicher: „Das hat er sich schön ausgedacht!“ Nein, das alles habe ich selbst erlebt und mit eigenen Ohren gehört.    
Hier noch eine weitere Geschichte, die wir erlebten, als wir vor Jahren mit unseren Kindern Ferien auf dem Bauernhof machten. Eines Tages kam ein Auto mit dem Kennzeichen einer Großstadt auf den Hof gefahren. Der Sohn stieg aus und rannte sofort zu einem Baum und kam aus dem Staunen nicht heraus: „Mama, schau mal! Äpfel – auf einem Baum?!“ Der Bauer des Hofes sagte später zu uns, dass es immer wieder vorkomme, dass die Kinder aus der Stadt gar nicht mehr wüssten, woher Lebensmittel ursprünglich stammen würden.     
In unserer digitalen Welt, sollte man meinen, kann sich jeder super informieren. Kann man. Aber sind die Informationen tatsächlich korrekt? Viel zu oft kann man unter dem Bild einer Pflanze einen falschen Namen lesen. Ein andermal wird ein Kaninchen als Hase bezeichnet; und alles was klein ist, fliegt und sticht, ist eine „Biene“ – ganz gleich ob es sich um eine Wespe, Hornisse oder gar eine Hummel handelt. In Quizsendungen werden zudem Fragen zur Natur von den Kandidaten nur ungern gesehen: „Wie lautet der Name einer lila Heidepflanze? Ludmilla oder Erika?“ Ahnungslos und achselzuckend wird geantwortet: „Ludmilla?“ Kein Scherz – genauso passiert! Das schlimme daran: es stört niemanden – Natur-Wissen ist für die meisten total „uncool“.    
„Na gut“, habe ich mir mal gedacht, „was soll’s. Dann haben die Leute eben andere Interessen. Es muss ja nicht jeder über Pflanzen und Tiere Bescheid wissen“. Allerdings kann diese Unkenntnis Folgen haben: nehmen wir als Beispiel die Raupen. Die haben einen schlechten Ruf, da sie oftmals unsere Kulturpflanzen als Lieblingsspeise gewählt haben. Wer sich mit dem Thema nicht weiter beschäftigt, vernichtet somit in seinem Garten sämtliche Raupen, die er zu Gesicht bekommt, um „seine“ Pflanzen zu schützen. Wenn er also eine an seinem Möhrengrün entdeckt, hat ihr letztes Stündlein geschlagen, obwohl aus dieser Raupe später ein wunderschöner Schwalbenschwanz-Schmetterling geworden wäre. Ebenso ergeht es anderen Schmetterlingen, die als erwachsene Tiere von allen bewundert worden wären, aber das Pech hatten, zuvor eine ungeliebte Raupe gewesen zu sein.     
Das Unwissen über die Natur kann aber auch dem Unwissenden selbst schaden. Wenn er zum Beispiel Maiglöckchen für Bärlauch hält, die Blätter sammelt, verarbeitet und verzehrt, können die danach auftretenden Vergiftungserscheinungen schon dramatisch werden; von den Folgen der Unkenntnis beim Sammeln von Pilzen ganz zu schweigen. Obwohl Zierpflanzen nicht für den Verzehr angebaut werden, wissen die wenigsten, dass sogar beliebte Blühpflanzen (z.B. Eisenhut) äußerst giftig sein können. Fehlende Kenntnis über die Natur und ihre Zusammenhänge kann aber unter Umständen uns allen schaden: wer völlig naiv unter dem Motto „was ich nicht mehr sehe, das gibt’s auch nicht“ seine Medikamentenreste in der Toilette herunterspült, hat nicht bedacht, dass ein Klärwerk viele Inhaltsstoffe nicht herausfiltern kann und diese dann in Bäche oder Flüsse gelangen und wichtige Körperfunktionen der dortigen Lebewesen beeinträchtigen können. Warum werden diese Reste nicht zurück zur Apotheke gebracht oder direkt über die Restmülltonne entsorgt?     
Zunehmende Gedankenlosigkeit und Unwissen über Zusammenhänge und Konsequenzen in der Natur sind somit die Ursachen für diverse Umweltsünden. Ein Bekannter hat mal auf meinen Vorwurf, er benutze verbotene Mittel zur Unkrautbekämpfung, völlig unbedarft geantwortet: „Ich weiß nicht, was Du willst. Es hilft doch!“ Er war sich keiner Schuld bewusst. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat einmal gesagt: „Nur was man kennt, das schützt man.“ Daraus kann man ebenso schlussfolgern: „Das, was man nicht kennt, schützt man auch nicht.“ Ist das vielleicht einer der Gründe, dass sich unsere Umwelt entgegen aller Vernunft so entwickelt hat, wie wir sie heute sehen müssen?     
Um dem ein wenig entgegenzuwirken, wäre es wichtig, dass alle (ob Profi oder Laie) ihre Kenntnisse über die Natur und das, was damit zusammenhängt, so viel und so oft wie möglich an andere und (ganz wichtig) an die nächs­te Generation weitergeben, damit dieses Thema irgendwann wieder „salonfähig“ wird. Ein erstes Schrittchen ist ja schon gemacht: durch die coronabedingten Lockdowns haben etliche wieder erkannt, dass man auf einer Gartenfläche nicht nur Sonnenstühle und den Grill aufstellen, sondern auch Blumen und sogar Gemüse anbauen kann. Dadurch ist bei vielen das Bedürfnis entstanden, mehr über den Anbau von Gemüse und Co. zu erfahren. Wenn das kein Strohfeuer ist, sondern zu einer breiten Bewegung wird, sind wir auf dem richtigen Weg.         

Manfred Kotters

 

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