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Es blutet mir manchmal schon das Herz, wenn ich mit Schere oder Fingernagel beim Wachstum eingreife: im Frühjahr die Rosen brutal zurückschneiden oder bei den Zinnien und Studentenblumen die erste Blütenknospe ausknipsen. Natürlich wird der Wuchs kompakter und die Blütenfülle merklich vermehrt – aber dieses Kappen kostet mich schon einiges an Überwindung. Der Profigärtner kennt diese Gefühle nicht, für ihn ist es Alltag; er wendet dieses Entspitzen (er nennt es „pinzieren“) an, um später ausschließlich optimale Pflanzen zeigen und verkaufen zu können.
Diese Skrupel kenne ich auch, wenn ich an meine Paprika denke. Da habe ich sie im Februar gesät und wochenlang betüddelt, um sie Mitte Mai ins Gewächshaus pflanzen zu können. Endlich erscheint neben den Blättern in der ersten Verzweigung die „Königsblüte“ sprich: das erste Fruchtversprechen. Überall kann man lesen und hören (auch von meiner inneren Stimme), dass es richtig und vernünftig ist, diese Blüte zu entfernen. Aber: Vielleicht ist es ja die einzige Blüte, die diese Paprika in diesem Jahr hervorbringt – und dann? Natürlich liegt die Blüte ein paar Augenblicke später auf dem Boden; die jahrelange Erfahrung lässt mir da keine Wahl. Diese Blüte wächst nun mal an der entscheidenden untersten Gabelung der Pflanze. Sämtliche Nährstoffe, die das Wachstum darüber benötigt, müssen hier vorbei. Wenn die Blüte sich an dieser Stelle in eine werdende Frucht verwandelt, holt sie sich alles aus diesen Leitungsbahnen, was sie für ihren Reifeprozess braucht und das fehlt dann bei der oberen Fruchtbildung. Oftmals stößt die Paprika sogar Blüten ab, da wegen der unteren Frucht nicht genügend Nährstoffe zur Bildung der oberen Früchte vorhanden sind.
Das ist aber lediglich ein Argument zur Entfernung dieses „Königs“. Ein weiterer Grund ergibt sich Wochen später. Die junge Frucht bleibt ja nicht klein, sondern wird immer umfangreicher. Die Stängel der Verzweigung wirken nun wie ein Sperrgitter, wenn darin die Paprikafrucht langsam an Umfang gewinnt; sie behindern das freie Wachstum und die Frucht wird arg eingequetscht. Dadurch wird die Paprika völlig unförmig; in einigen Fällen kann das sogar dazu führen, dass die Wuchskraft einen Teil der Verzweigung absprengt – insbesondere bei den blockigen Paprika; die Spitzpaprika dagegen wachsen weniger in die Breite, sondern eher in die Länge, wodurch sie „wendiger“ sind. Deshalb bietet sich bei den Blockpaprika an, dass nicht nur die erste, sondern auch die zweite Ebene der Blüten entfernt wird, um damit Platz für die oftmals riesigen Früchte zu schaffen. Entgegen der ersten Gefühle dabei, wird durch diese Maßnahme der Ertrag nicht vermindert, sondern sogar erhöht, da mehr Früchte die Gelegenheit bekommen, rasch auszureifen. Wichtig sind auch Stützhilfen (z.B. durch Anbinden), die das Auseinanderbrechen der Pflanze verhindern.
Als ich in diesem Jahr solch eine eingezwängte Paprika erntete, durfte Gewalt keine Lösung sein – wie schnell hätte ein Zweig beschädigt oder gar abgebrochen werden können! Stück für Stück musste ich sie vorsichtig zerschneiden und herauspuhlen – und das war noch nicht einmal das Ergebnis der „Königsblüte“. All das hätte ich vermeiden können, wenn ich bei der Entfernung der Blüten noch hartherziger gewesen wäre. Aber wer ist schon gerne hartherzig – und dann auch noch als erstes gegen einen König?
Manfred Kotters