Über Hungerkünstler, Diven und Irrtümer

Auf den Saattütchen steht doch alles drauf, was man wissen muss: wie, wann, wo und bei welchen Temperaturen der Samen ausgesät werden möchte. Das kann also so schwer nicht sein. Denkt man. Allerdings verhalten sich manche Samen wie echte Diven: sie machen, was sie wollen und keimen, wann sie wollen. Da muss man manchmal schon Geduld im Gepäck haben und die erforderlichen Bedingungen nicht schleifen lassen. Ansonsten wartet man vergebens. Es kann allerdings auch andere Gründe haben…   
Schon als Kind hatte ich Interesse am Gärtnern und säte schon damals so allerlei aus, um zu sehen, was daraus würde. Einmal hatte ich im Garten einen Streifen mit Sommerblumen ausgesät, um eine ansonsten bodennackte Gartenecke ein wenig bunter zu gestalten.  Doch es vergingen Tage und Wochen, ohne dass sich ein Pflänzchen zeigte. Mein Vater, mit dem ich immer im Garten zusammen war, beschuldigte schon die Schnecken, hier für Kahlschlag gesorgt zu haben. „Vielleicht war das Saatgut auch schon zu alt“, war seine nächste Vermutung. Als ich eines Mittags auch meiner Mutter, die mit dem Garten zwar nicht so viel am Hut hatte, aber das Gemüse daraus zu vortrefflichen Speisen verarbeitete, von meinem missglückten Versuch erzählte, gestand sie, dass sie auch im Garten hatte helfen wollen, indem sie diejenigen Ecken hackte, auf denen sowieso noch nie etwas gestanden hätte: „Da kann man ja nichts falsch machen und die Gemüsebeete habe ich ja Ruhe gelassen“. Unter dem Motto: „Es soll doch ordentlich aussehen“ hatte sie die keimenden Unkräuter weggehackt als ich in der Schule und mein Vater auf seiner Arbeitsstelle war. Schnell wurde klar, dass ihre „Unkräuter“ meine ausgesäten Sommerblumen waren. Ja, so kann es gehen, wenn viele Köche am Brei arbeiten und sich nicht absprechen – da kann der Brei schon mal verderben.    
Wachstumsprobleme kann es aber auch geben, wenn die Pflanzen recht eigensinnig sind und sich weigern, an der von mir ausgesuchten Stelle zu wachsen. Der Dill ist bei mir so ein Kandidat. Säe ich ihn aus, ganz gleich, ob direkt auf dem Beet oder als Voranzucht im Töpfchen, keimt er und wächst ein Weilchen, um plötzlich aufzugeben und in den Pflanzenhimmel zu verschwinden. Hat sich aber irgendwo im Garten eine Pflanze normal entwickelt, ist das stets ein Exemplar, das nicht von mir ausgesät wurde, sondern das aus einem Samen von einem einsamen Fruchtstand vom letzten Jahr stammt und  sich sein momentanes Zuhause eben dort ausgesucht hat. Mal sehe ich so einen Dill zwischen den Beetblumen oder in den Töpfen auf der Terrasse oder (ganz gemein) 20cm neben der Stelle, wo ich ihn ausgesät hatte, er aber dort nicht wachsen wollte. Er zeigt mir damit unmissverständlich, wer bestimmt, wo er zu wachsen beliebt – nämlich er ganz alleine! Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, den widerspenstigen Dill nicht an bestimmte Stellen zu säen, sondern den Tüteninhalt in eine Hand zu schütten, durch den gesamten Garten zu laufen und den Samen dort wahllos verteilt auszustreuen. Soll er doch selbst sehen, was er daraus macht – ich schreibe ihm nichts mehr vor! Dann ist er auch selbst schuld, wenn er irrtümlich irgendwo weggehackt wird.    
Als mein Gewächshaus gerade aufgebaut war und ich von Pflanzenanzucht noch wenig Ahnung hatte, bin ich auf Nummer Sicher gegangen und habe mir die benötigten Jungpflanzen lieber gekauft. So auch einmal drei Paprikapflanzen. Sie wuchsen super, bekamen Blüten und schließlich Fruchtansätze – viele Fruchtansätze! Ich war begeistert! Unzählige längliche Paprika hingen an den Pflanzen. Allerdings wunderte ich mich, dass sie verhältnismäßig klein waren – aber was soll’s, die Menge macht’s, dachte ich so bei mir. Den Optimismus bewahrte ich mir, bis sie reif und rot wurden und wir sie probiert haben. Da erst merkte ich, dass man mir statt Gemüsepaprika, Chili verkauft – oder besser: angedreht hatte. Höllisch scharfe Chili! Paprikasalat konnte ich in diesem Jahr somit komplett vergessen. Um die Früchte doch noch nutzen zu können, habe ich sie getrocknet und einige Jahre lang als feurige Zugabe zu Gulasch und Co. verwendet. Ab dem Jahr habe ich beschlossen, mir eigene Jungpflanzen aus Samen zu ziehen – da weiß man, was man hat!
Manchmal frage ich mich, warum ich meine Jungpflanzen immer so betüddele. Muss das wirklich sein? Benötigt jede Pflanze einen mit Erde gefüllten Topf? Muss ich diese Erde stets leicht feucht halten und womöglich täglich schauen, wie es der Pflanze geht? Eigentlich würden ein paar Sandkörnchen als Wachstumsgrundlage reichen und gießen könnte ich mir auch sparen. Wie ich auf diese abwegig erscheinenden Gedanken komme? Ganz einfach: ich habe vorhin in unserer Pflasterung ein Hornveilchen entdeckt, das in einer Fuge wuchs, die lediglich einen Millimeter breit ist. Das Hornveilchen steht dort, wird nie gegossen oder gedüngt und zeigt allen Vorübergehenden farbenfroh, wie bescheiden solch ein Pflänzchen im Gegensatz zu den verwöhnten Beetpflanzen sein kann. Ich frage mich seitdem, wie das funktionieren kann, mit so wenig „Substrat“ in der Fuge; zudem besteht ja auch der Unterbau der Pflasterung nicht aus gedüngter Gartenerde, sondern aus Sand und Schottersteinen. Da will uns wohl Mutter Natur auf beeindruckende Weise zeigen, wie genügsam ein Leben sein kann. Da aber nicht alle Pflanzen so hart im Nehmen sind, werde ich meine Jungpflanzen doch wohl weiter betüddeln müssen…     
Man sieht, aller Anfang kann schwer sein. Aber vielleicht ist das manchmal gar nicht so schlimm, da Generalproben im Theater ja auch nicht reibungslos verlaufen sollen, damit die Premiere auf jeden Fall gelingt. Es heißt nicht umsonst: „Aus Fehlern wird man klug – deshalb ist einer nicht genug“. Lasst uns also Fehler machen!    

Manfred Kotters             

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