Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,  

empfinden Sie den Winter als graue, triste Jahreszeit? – Kälte und Nässe, die viele zu Stubenhockern werden lassen, keine Blätter an den Bäumen, nirgends etwas Grünes, Lebendiges, keine Blüten… Oder doch?  

Vermutlich sind Sie einem Klischee aufgesessen, denn wenn man mit offenen Augen hinsieht, ist der Winter hierzulande gar nicht so karg und unbelebt, wie man auf den ersten Blick denken mag. Die immergrüne Sträucher und Nadelgehölze halten tapfer die Stellung. Hier und da sind noch ein paar leuchtend bunte Beeren übrig, die die Vogelschar bisher übersehen hat und sogar ein paar echte Blüten lassen sich finden! Schneeglöckchen, Winterlinge, Christrose und Co. haben jetzt ihren Solo-Auftritt. Wieso blühen diese aber ausgerechnet im Winter?  

Für diese Pflanzen besteht der Vorteil darin, dass sie ihre Bestäubung in dieser Jahreszeit einfacher durchführen können. Da die vielen Blätter von Bäumen und Sträuchern fehlen, fällt nicht nur mehr Licht auf diese Gewächse, auch der Wind kann besser durch die nackten Äste fegen und somit windbestäubende Pflanzen erreichen und deren Pollen verteilen. Selbst Arten, die von Insekten bestäubt werden müssen, haben es leichter, denn es gibt weniger Konkurrenz, gegen die es sich mit Duft und Blütenfarbe durchzusetzen gilt. Dabei ist es nicht wichtig, welches der wenigen aktiven Insekten wintertags zur Bestäubung vorbeikommt.   

Gegen den Frost haben solche Winterblüher ebenfalls eigene Strategien: entweder bilden sie ihr eigenes Frostschutzmittel (Glycerin) und lagern es in ihre Zellen ein, oder sie verschieben die Knospenbildung ganz einfach ein bisschen, bis wieder mehr als 8°C herrschen. Wieder andere halten es nach dem Motto: „Viel hilft viel!“ und produzieren stetig viele neue kleine Blüten, so dass es nicht tragisch ist, falls mal ein paar erfrieren – so zum Beispiel der Winterjasmin.   

Wer früher blüht, ist also klar im Vorteil, da entsprechend auch die Samenbildung zeitiger erfolgt. Außerdem ist der Konkurrenzdruck auch beim Ankeimen geringer, denn der Frühlingsboden ist noch kahl und zugleich fällt reichlich Licht auf die kleinen Keimlinge, solange sich die Knospen von Sträuchern und Bäumen erst noch entwickeln müssen.   

Ganz nach dem Sprichwort „Nur die Harten kommen in den Garten“ haben sich Winterblüher angepasst und nutzen ihren kleinen Vorsprung bestens aus. Somit haben sich diese tapferen Gewächse auch unsere wertschätzende Beachtung beim Winterspaziergang verdient.  

 

Ihr Karl Born,   
Vorsitzender des Hauptvorstands

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