Unser Draußen-Haustier

­­Viele haben ein Haustier – zumeist drinnen. Andere haben einen Hausbaum – zumeist draußen. Wir haben ein Haustier, das dauernd draußen ist: einen Turmfalken. Es wird nicht immer der gleiche sein; denn diesen Vogel sehen wir schon einige Jahrzehnte, wobei Turmfalken (laut Internet) höchstens 18 Jahre alt werden. Er blieb diesem Haus sogar treu, als es 1998 grundlegend geändert wurde. Seit dem Umbau sitzt er stets auf der Mittelpfette – mal auf der Westseite, aber zumeist auf der Ostseite, da es dort wesentlich ruhiger ist. Zum einen ist Osten nicht die Wetterseite und zum anderen verläuft an der Westseite eine Straße, während auf der anderen Seite unser Garten ihm mehr Zeit zum Ausruhen gibt. Manchmal macht er es sich auch auf der Satellitenschüssel bequem. Er hat sich etwas an uns gewöhnt; wenn wir uns draußen bewegen, stört es ihn nicht. Wenn wir ihn allerdings direkt anschauen, fliegt er fort. Deshalb exis­tierte bis jetzt noch kein Foto von ihm. Trotzdem wissen wir sicher, dass er regelmäßig dort sitzt: auf der Pflasterung liegen immer wieder seine unübersehbaren Hinweise: die Gewölle (so genannte „Speiballen“), also die unverdaulichen Reste seiner Mahlzeiten, die er auswürgt. Er gibt aber zuweilen noch ein anderes Zeichen: da er nicht nur frisst, sondern die Nahrung durch seinen Körper geht, landet bei mauernahen Ausgangspositionen und ungünstigem Wind immer mal wieder etwas Unaussprechliches an der Wand unter ihm. Das ist zwar nicht unbedingt zierend, aber andererseits ein unverkennbarer Beweis, dass ein Turmfalke sich bei uns wohlfühlt – ist das etwa nichts?! Ab und an hören wir auch seine Rufe. Mit der Zeit haben wir ihm sogar einen Namen gegeben: Falko. Da er nicht kommt, wenn wir rufen, ist es völlig irrelevant, dass es vielleicht gar nicht immer derselbe Vogel ist; so wie bei Lassie oder Fury, die ja auch nicht ewig lebten, obwohl die Serien über lange Zeit liefen.  

So ein Turmfalke sitzt ja nicht nur rum, sondern macht sich gerne nützlich (obwohl er das wahrscheinlich gar nicht weiß), indem er Mäuse fängt. Charakteristisch ist sein Rüttelflug, bei dem er mit raschen Flügelschlägen scheinbar in der Luft zu stehen scheint. Plötzlich schießt er nach unten, um seine Beute zu greifen. Das ist bei mir im Gemüsegarten schon recht praktisch. Zwar habe ich ihn bisher noch nicht im Garten gesehen, aber warum sollte er diese Fläche meiden?   

Vor ein paar Tagen habe ich ihn jedoch hier vor unserer Terrassentür gesehen. Er saß auf den Pflastersteinen und zerrupfte sein Beutetier. Obwohl er mich direkt ansah, flog er nicht sogleich fort. Vielleicht wollte er mir dadurch mitteilen, dass nicht nur Mäuse in sein Beuteschema fallen. Er zerrupfte nämlich einen Vogel; eine Meise war es nicht, da das Federbündel graubraun war. Eventuell war es ein Sperling oder eine Heckenbraunelle. Bisher war ich der Meinung, dass Mäuse seine alleinige Nahrung wären. Doch die Recherche belehrte mich, dass er auch Singvögel und große Insekten nicht verschmähen würde. Nun befindet sich sein Stammplatz direkt über der Futterstelle für die Vögel, die sich übrigens in den letzten Tagen nicht mehr ­blicken ließen. Bei „Futterstelle für die Vögel“ war von uns der Turmfalke ­eigentlich nicht gemeint.  

Ausgerechnet jetzt hatte er sich mit einem Singvogel in Sichtweite platziert. Ausgerechnet jetzt, wo wir es ihm gerade erst wohnlich eingerichtet haben, indem wir unter dem Dachüberstand einen Turmfalken-Nistkasten angebracht haben. Unser handwerklich begabter Nachbar Karl-Heinz hat diesen sogar derart umgebaut, dass sich an der Rückseite Fledermäuse, die an sommerlichen Tagen unser Haus umschwirren, tagsüber dort verstecken können. Wie sich diese tierische Nachbarschaft entwickelt – mal sehen. Mit diesem Kasten soll unser Falke die Chance haben, wettergeschützter zu nächtigen und vielleicht nutzt er sogar die Möglichkeit, in seiner Wohnung für Nachwuchs zu sorgen. Ein bisschen sehen wir diese Aktion nach seiner Singvogeljagd mit anderen Augen; aber es bleibt uns ja immer noch die Hoffnung, die ein alter Jägerspruch verspricht: „Der Fuchs jagt nicht vor dem eigenen Bau.“ Andererseits muss ich einfach auch zugeben, dass solch ein Greifvogel nicht aus Spaß oder um uns zu ärgern die Vögel jagt, sondern weil er schlicht und einfach Hunger hat. So sehr uns die Singvögel Leid tun, so ist die Natur halt – es gibt für Falken schließlich keinen Pizzaservice!                                         

Manfred Kotters   

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