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Jetzt mache ich etwas, was man tunlichst vermeiden sollte: ich zähle zuallererst die Nachteile von dem Gemüse auf, um das es im Folgenden gehen wird. Warum? Na, dass jeder schon frühzeitig weiß, auf was er sich da gegebenenfalls einlässt. Eigentlich ist es ein völlig normales Gemüse, das früher wesentlich häufiger in Privatgärten angebaut wurde: Schwarzwurzeln. Hier die „Warnhinweise“: der gekaufte Samen ist nur ein Jahr keimfähig – von der Aussaat bis zur Ernte dauert es fast ein dreiviertel Jahr – die Ernte ist körperlich anstrengend – die Verarbeitung in der Küche kann mühsam sein. Wer jetzt von diesen Argumenten abgeschreckt ist und auf den Anbau verzichtet, der muss sich andererseits im Klaren sein, dass er damit auch ein zartes und äußerst wohlschmeckendes Gemüse nicht in sein Gartenreich lässt.
Dabei sind diese „Mängel“ mal genauer zu betrachten: zwar steht die Schwarzwurzel bei einer Aussaat März/April und einer Ernte ab November lange auf dem Beet; aber der Pflegeaufwand hält sich in Grenzen. Hacken und Unkraut ziehen sind die Arbeiten die anstehen – aber bei welchem Gemüse ist das nicht der Fall? Da sie keine Flachwurzler sind, sondern ihre Pfahlwurzel bis zu 50cm in den Boden hinabsenken, steht die Gießarbeit im Sommer bei ihr auch nicht an erster Stelle. Wenn einige Jungpflanzen nach der Keimung etwas Frost mitbekommen haben, sind sie geneigt, Blüten zu bilden. Bei Möhren oder anderen Wurzelgemüsen führt diese Kälteerfahrung mit nachfolgender Blütenbildung zur erheblichen Qualitätsminderung der zu erntenden Wurzel. Die Schwarzwurzel steckt das locker weg und bleibt zart und wohlschmeckend. Trotzdem schneide ich frühzeitig den Blütenstand ab, damit die Pflanze nicht unnötig ihre Energie in die Produktion von Nachkommen investiert. Die Ernte kann (bei mäusefreiem Garten) den Winter über erfolgen, da für die Schwarzwurzel Frost kein Problem darstellt. Allerdings ist das Ernten wenig rückenschonend, da die Wurzeln auch jetzt im rohen Zustand sehr zart sind; sie brechen leicht ab und man erntet, wenn man unvorsichtig arbeitet, viele kleinere Bruchstücke. Aus diesem Grunde denke ich schon bei der Aussaat der stäbchenförmigen Samen an die spätere Ernte und säe immer zwei Reihen nebeneinander. Da die Keimfähigkeit rasch nachlässt, kann man getrost den Samen aus der Tüte komplett aussäen, um später auf 7–10 cm auszudünnen. Normalerweise nehme ich die Sorte „Hoffmann’s schwarze Pfahl“; allerdings habe ich kaum Unterschiede feststellen können, wenn ich mal eine andere Sorte ausgesät habe. Als Reihenabstand nehme ich die Breite meines Spatens (plus 5–6 cm). Wenn ich im Herbst/Winter das Gemüse ausbuddel, grabe ich vorsichtig zwischen den beiden Reihen einen entsprechend tiefen Graben. Die ausgehobene Erde kommt auf die Schubkarre, um den Graben später wieder zu verfüllen. Damit die Wurzeln sich möglichst wenig verzweigen und dann bei den Erntearbeiten in den Graben hineinragen und dadurch leicht abbrechen würden, lockere ich schon vor der Aussaat den Boden so tief ich nur kann und entferne alle Steine und anderen festen Gegenstände. Auf diese könnte nämlich die Wurzelspitze stoßen, um sich als Reaktion darauf unnötig zu verzweigen. Wenn der Erntegraben fertig ist und die Wurzeln somit einseitig freiliegen, drücke ich die Grabegabel möglichst tief neben den Schwarzwurzeln in den Boden und lockere vorsichtig die Erde um die Pflanzen, bis ich erkenne, dass sie frei sind und sich in den Graben neigen. Ebenso vorsichtig ziehe ich immer wieder versuchsweise, ob sich auch die untere Spitze vom Untergrund gelöst hat. Gewalt und ungebremste Muskelkraft sind hier fehl am Platz; ich habe manchmal sogar das Gefühl, dass ich eher ein „Geburtshelfer“ als ein Gemüseernter bin. Nach getaner Arbeit kann man die Wurzeln sofort in der Küche verarbeiten oder an anderer Stelle (kühl, von Erde umgeben und möglichst mäusesicher) zwischenlagern.
Da die Wurzel bei Verletzung einen klebrigen, weißen Saft absondert, der zudem Hautverfärbungen verursacht, ist das Schälen (im Vergleich zu Möhren) keine sonderlich angenehme Arbeit. Deshalb rate ich zu Einmal-Handschuhen. Um sich die Arbeit zu erleichtern, gibt es verschiedene Methoden. Manche kochen die ungeschälten Wurzeln kurz, um den Saftfluss zu vermindern; andere schälen unter fließendem Wasser. Ich lege die Wurzeln rund eine Stunde in lauwarmes Wasser, bevor ich sie mit einem Sparschäler bearbeite. (Kleiner Tipp: der klebrige Saft lässt sich von einem Kunststoffgriff besser entfernen als von einem Holzgriff). Durch den Kontakt mit der Luft können sich die geschälten Wurzelstückchen gelblich verfärben; das schränkt man ein, indem man die Stückchen in eine Schüssel mit Wasser gibt. Doch keine Sorge: der spätere Kochvorgang lässt sie wieder heller werden.
Leider gehört die Schwarzwurzel zu den blähenden Speisen, das heißt, dass empfindliche Menschen beim Verzehr einer zu großen Menge (mehr als zwei Komplett-Stangen) Magendrücken mit entsprechenden Winden bekommen können. Doch das nehme ich, ehrlich gesagt, bei dem hervorragenden Geschmack dieses außergewöhnlichen Gemüses gerne in Kauf. Mit einer Kanne Fenchel/Anis-Tee gönne ich mir danach ein leckeres „Dessert“ und schränke dadurch die Blähungen erheblich ein.
Wer also mal etwas Neues ausprobieren möchte, kann sich ja mal in das Abenteuer „Schwarzwurzel“ stürzen, um im Winter dieses mittlerweile seltene Gemüse zu genießen. Interessant ist es außerdem, wenn man dazu Freunde, Nachbarn oder Verwandte einlädt; denn viele kennen Okra, Litschi und Sushi – aber wer kennt heute noch Schwarzwurzeln?
Manfred Kotters