Kontrolle ist besser

­­Wenn er nicht gerade von Schotter bedeckt ist, dann ist ein Garten voller Leben; und Leben ist nun mal unberechenbar. Da er in der Lage ist, auf veränderte Bedingungen zu reagieren, müssen wir als Betreuer dieser Fläche ebenfalls reagieren, um eventuelle Schäden zu beheben, zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Platzregen, Sturm oder Trockenheit fordern uns genauso wie Läuse, Raupen oder Pilzkrankheiten. Das Leben kann sich natürlich auch zum Schönen oder Andersartigen hin verändern und uns unerwartete Blütenfarben oder ungewohnte Formen präsentieren. Allerdings müssen wir diese Veränderungen auch bemerken.   

Wenn nicht gerade der Terminkalender, Dauerregen oder willkommene Gäste mir etwas anderes anraten, mache ich deshalb täglich eine Kontrollrunde durch meinen Gemüsegarten. Selbstverständlich bin ich dabei nicht nur auf der Suche nach negativen Veränderungen, die ich abstellen muss. Ich schaue ebenso neugierig auf die eingesäten Beete – ob die Pastinaken oder die Möhren sich nach der langen Keimphase endlich blicken lassen – und genieße im Frühjahr die Blütenvielfalt der Obststräucher und Blumen. Zu anderen Zeiten wandern immer wieder Pflaumen, Tomaten, Erbsen oder Möhren in meinen Mund. Der Garten soll mir schließlich nicht nur die Augen verwöhnen.   

Bei solch einer Runde steht das „wehret den Anfängen“ an erster Stelle. Da meine Kontrollrunden fast täglich stattfinden und ich mir ausgiebig Zeit nehme, stelle ich Schäden auch recht kurzfristig fest. Im letzten Sommer zum Beispiel musste ich registrieren, dass innerhalb eines Tages das Laub meiner Kartoffeln sich schlagartig verändert hatte; es hing größtenteils schlaff herunter und hatte sich zudem verfärbt: die Krautfäule (Phytophthora infestans) hatte zugeschlagen. Nun hieß es, sofort handeln, da die Krankheit sich rasend schnell von den Blättern und Stängeln in die Wurzeln und damit in mein zukünftiges Erntegut hätte ausbreiten können. Ohne zu warten entfernte ich sämtliche oberirdischen Teile und sammelte auch sorgfältig die heruntergefallenen Blätter auf, um sie komplett aus dem Garten zu entfernen und in der Biotonne zu entsorgen. Nun musste ich hoffen, dass die Reife der Kartoffeln so weit fortgeschritten war, dass sie den Verlust ihrer Grünteile verschmerzen konnten. Zum Glück war meine Maßnahme tatsächlich von Erfolg gekrönt: die je nach Bedarf geernteten Kartoffeln waren alle gesund und lecker. Hätte ich weitere Tage verstreichen lassen, hätte die Krankheit Zeit gehabt, die gesamte Pflanze zu erobern. Im schlimmsten Fall wären die Kartoffeln im Boden verfault und hätten dadurch noch zusätzlich die Erde des Beetes auf Jahre mit den Erregern verseucht.  

Zugegeben, das war ein extremes Beispiel, das glücklicherweise nur selten passiert. Aber auch Läuse- oder Raupenbefall kann, wenn er nicht rechtzeitig gebremst wird, unangenehme Folgen haben. Wobei dieses „Bremsen“ nicht unbedingt von uns erfolgen muss. Bei der täglichen Kontrolle schaue ich mir den jeweiligen Schädlingsbefall immer wieder an und warte erst einmal ab, ob sich die Natur nicht auch selbst hilft: Widersacher dieser Schädlinge, wie Marienkäfer oder Vögel, suchen ja auch täglich nach Nahrung und können dadurch solch eine ungeliebte Schädlingskolonie dezimieren oder sogar gänzlich entfernen. Sollte das aber nicht der Fall sein, greife ich die Läuse mit einem gezielten Wasserstrahl an. Bei den Raupen muss ich allerdings anders vorgehen: Da sich diese oftmals bei Berührung fallen lassen, wenn ich versuche, sie mit den bloßen Fingern zu greifen, nehme ich lieber eine Pinzette, um sie „abzuernten“, da hierbei der Überraschungseffekt für die Tiere größer ist und ich sie eher erwische. Wenn sie nämlich auf den Boden gefallen sind, finde ich sie oftmals nicht wieder. Dann können sie nach kurzer Zeit wieder hochklettern und ihre Fraßtätigkeit erneut aufnehmen.   

Ein besonderes Augenmerk richte ich April/Mai auf den Gewöhnlichen Spindelstrauch, besser bekannt als Pfaffenhütchen. In dieser Zeit beginnt die Pfaffenhütchen-Gespinstmotte ihr Werk. Wenn ich die kleinen Gespinste an den Spitzen der Zweige bemerke, schneide ich sie ab und entsorge sie in einem Eimer Wasser. Da die Gespinste recht wasserabweisend sind, gebe ich einige Tropfen Spülmittel hinzu und achte darauf, dass die abgeschnittenen Zweigstücke stets von Wasser bedeckt sind, damit die Raupen abgetötet werden. Wenn ich nicht eingreifen würde, wäre der Strauch innerhalb von kurzer Zeit komplett mit den weißen Fäden überzogen und hätte auch keine Blätter mehr. Dieses Phänomen kann man alljährlich an vielen Straßenrändern beobachten.    

Sehe ich auf meinem Rundgang die ersten silbrig glänzenden Streifen auf dem Weg oder auf Blättern, steht fest, dass die Schneckenzeit angebrochen ist und ich eingreifen muss, bevor Salate und Tagetes von diesen Schleimern weggefressen werden. Mit von unten befeuchteten Brettern locke ich sie an, sammele sie ein und entsorge sie anschließend. Diese Bretter verrichten ihren Dienst bis zum Herbst, da immer wieder neue Schnecken in den Garten einwandern können, die tagsüber ein dunkles Plätzchen suchen.  

Doch nicht nur negative Erscheinungen fallen mir bei dem Kontrollgang ins Auge; auch die täglich fortschreitende Reife der Früchte wird von mir beobachtet, um zum optimalen Zeitpunkt ernten zu können. Hinten in meinem Garten steht ein Apfelbaum, Sorte Gloster. Durch seine späte Blüte weicht er den Spätfrösten zumeist aus. Seine leicht glockenartigen Äpfel haben im Herbst eine ansprechend rote Färbung. Diese optische Veränderung wird durch kühle Nächte und sonnige Tage unterstützt. Vor Jahren hatte ich einen bestimmten Apfel täglich im Auge, da er eine „verkaufsfördernde“ Platzierung am Baum und zudem eine sehr gefällige Form und Färbung hatte. Eines Tages war er jedoch nicht mehr da. Als ich etwas später wieder ins Haus kam und meiner Frau sagte: „Am Gloster fehlt ein Apfel“, schaute sie mich völlig verdattert an und gestand, diesen so ansprechenden Apfel gepflückt und gegessen zu haben: „Was!? Du kennst jeden Apfel auf dem Baum und bemerkst sofort, wenn einer fehlt??“ Natürlich habe ich ihr nicht erklärt, dass ich lediglich diesen einen Apfel beobachtet habe, sondern lasse sie bis heute in dem Glauben, dass ich sämtliche Früchte meines Gartens in meinem Innern registriere und sofort weiß, wenn etwas fehlt. Wer weiß, wofür das noch mal gut sein kann…  

Manfred Kotters   

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