Mit dem Alter kommt nicht nur die Weisheit

Von kleinen Kindern kann man manchmal hören: „Wir haben eine richtig alte Lehrerin, die ist schon 30!“ Als Rentner sagt man: „Was, 30 Jahre bist du erst? Du junger Hüpfer!“ Ja genau – es ist alles eine Sache der Perspektive. Auch wenn man seinen 60. Geburtstag feiert, kann man entweder denken: „Mein Gott, jetzt bin ich alt!“ oder aber: „Toll – die 60 Jahre habe ich auf jeden Fall geschafft!“ Die zweite Version sagt mir schon eher zu. Das sind immerhin 60 Jahre Erfahrungen, die nicht nur im jeweiligen Beruf geschätzt werden, sondern auch beim Hobby viel wert sind. Daher der Spruch: „Mit dem Alter kommt die Weisheit“. Aber leider kommen mit dem Alter auch so peu à peu die normalen Verschleißerscheinungen am Körper und hin und wieder auch am Geist. Gerade beim Garten-Hobby kann das Hürden mit sich bringen, die einen mehr oder weniger großen Bremseffekt bei so einigen Aktivitäten entfalten können. Wenn das einmal der Fall sein sollte, muss man aber nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, sondern sich auf das beschränken, was man noch bewältigen kann oder sich eine entsprechende Hilfe suchen. Solch eine Hilfe kann zum einen eine Person sein, die diese altersbedingten Hürden (noch) locker schafft, und zum anderen können das auch Hilfsmittel sein, die uns zwar ein wenig eingeschränken, aber trotzdem eigenständig gärtnern lassen. Im Folgenden erzähle ich (Jahrgang 1954) ein wenig, wie sich meine Tätigkeiten im Garten verändert haben als ich krankheits- und altersbedingt auf Einschränkungen reagieren musste.   

Jahre bis Jahrzehnte gärtnerte ich gewohnt dahin; immer in dem Glauben, dass es ewig so weiterginge. Doch dann forderte meine sitzende Tätigkeit als Buchhalter den allseits bekannten Tribut: Bandscheibenvorfall mit anschließender Operation. Schon durch meine Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte litt der Garten – ich war ja einfach nicht da. Samentragende Wildkräuter wurden nicht rechtzeitig ausgezupft, sondern hatten alle Zeit der Welt, sich auszusamen. Die Folgen sorgten noch jahrelang für zusätzliche Arbeit. Dazu kam die Aussage meines Arztes während der Reha: „Pro Arm höchstens 5 kg tragen.“ „Wie lange muss ich mich so schonen?“ „Wenn Sie nicht wieder hierherkommen wollen: den Rest ihres Lebens.“ Das musste ich dann erst mal verdauen, doch den Garten aufgeben kam für mich nicht in Frage. Hier bei uns sagt man: „Prakesiere kömmt van ärme Lüj“, was sinngemäß so viel heißt wie: Not macht erfinderisch. Die Konsequenz: Ausmusterung der 10l-Gießkannen und Investition in 5l-Gießkannen. Die kleineren Kannen haben nicht nur den Gewichtsaspekt, sondern dazu noch einen weiteren Vorteil: um die gleiche Menge Wasser zu bewegen, muss ich jetzt häufiger den Weg zwischen Beet und Wasserkran zurücklegen. Dadurch erziele ich den zusätzlichen Nebeneffekt, viele Schritte am Tag zu schaffen, was mir in der Reha eindrucksvoll nahegelegt worden war. Daneben habe ich mir angewöhnt, nicht mehr so viele Gartengeräte wie möglich auf einmal mit zu den Beeten zunehmen, sondern lieber für jedes Teil separat den Weg zum Gerätehäuschen einzuschlagen. Auch die schnellen Schritte hierbei sind mittlerweile Vergangenheit: „In der Ruhe liegt die Kraft“ wusste schließlich schon Konfuzius.  Ich fühle mich auch in keiner Weise verpflichtet, die Schiebkarre bis zum oberen Limit hin zu befüllen. Hier gilt ebenso: der Weg ist das Ziel. Die dafür benötigte Mehrzeit habe ich ja allemal, da mein Rentenbescheid schon vor Jahren in der Post war. In meinem Altersbereich ist Ausdauer nun mal wesentlich wichtiger als Höchstleistungen. Mein (zum Glück) gartenbegeisterter Schwiegersohn erledigt zudem für mich die gröberen Arbeiten mit Spaten und Schaufel oder größere Säge- und Rodungsarbeiten. Natürlich kostete mich solch eine Bitte um Hilfe anfangs etwas Überwindung. Um die leichten Schuldgefühle, meinen Schwiegersohn derart belasten zu müssen, ein wenig zu vermindern, bekommt er regelmäßig Anteile vom geernteten Gemüse sowie etliche Gläser unserer eigenen Marmelade. Heute würde man dazu sagen: das ist eine Win-Win-Situation.   

Von den Therapeuten hörte ich: „Nicht die Gartenarbeit an sich wirkt sich negativ auf den Körper aus, sondern eine einseitige oder übermäßige Belastung.“ Gerade wenn das Frühjahr beginnt und damit die arbeitsarme Jahreszeit vorbei ist, ist man schnell versucht, genau diese Fehler zu machen, um sich endlich mal wieder körperlich „auszutoben“. Doch ich habe mir die Ratschläge der Ärzte zu Herzen genommen: nichts übertreiben und bei möglichst jeder Tätigkeit immer wieder die Körperhaltung wechseln. Besonders beim Unkraut jäten ist man leicht versucht, „eben noch diese Ecke“ im Knien fertig zu machen. In dieser Hinsicht hat sich meine Einstellung grundlegend geändert: ich wechsele zum einen ständig zwischen knien und sitzen (es heißt zwar „Kniekissen“, es erlaubt aber auch das Sitzen darauf); hierbei ist ein dickes, flexibles Kniekissen sinnvoll, um die Haut und die Knie zu schonen.  Zum anderen macht es mir auch nichts aus, wenn das Beet zwar noch nicht unkrautfrei ist, das Gefühl in meinem Arm sich jedoch in Richtung Schmerz bewegt, augenblicklich mit der Arbeit aufzuhören. Ich kann doch besser jetzt Schluss machen, den Arm schonen und später weiter machen, als eisern durchzuhalten, um mich dann längere Zeit einschränken zu müssen; ein „Tennisarm“ kann nämlich eine recht langwierige Angelegenheit sein. Das Ziel „perfekter Garten“ hatte ich übrigens noch nie auf meiner Agenda.    

Da mein Körper nun mal nicht mehr so taufrisch ist, verlangt er des Öfteren nach einer Pause. Ja, wenn der das unbedingt möchte – dann mache ich das doch. Warum auch nicht? Arbeitszeiterfassung, Pausenzeitüberschreitung und Arbeitssollerfüllung sind mit dem Beginn der Rentenzeit für mich sowieso nicht mehr existent, deshalb bin ich nun mein eigener Chef (glaubt meine Frau zwar nicht…) und teile mir die Arbeit so ein, wie es mir passt. Außerdem ist es insbesondere im Alter wichtig, dass man genügend trinkt – also wird die Arbeitsunterbrechung zugleich zur Trinkpause. Da die Bandscheiben nur dann ihre Aufgaben vernünftig erfüllen können, wenn ihnen genügend Flüssigkeit zur Verfügung steht, unterstütze ich mit dem Trinken zugleich meinen lädierten Rücken. Schade, dass im Alter das Durstgefühl nachlässt; aber zum Glück nehme ich immer eine Karaffe Wasser mit in den Garten, die mich ans Trinken erinnert. So manche Stürze im Garten sollen nämlich nur passiert sein, weil zu wenig getrunken wurde und dadurch die Konzentration und die Reaktionsfähigkeit nicht optimal funktionieren konnten. Mein Favorit: einfach Wasser aus der Leitung. Ob man aber Wasser, Kräutertee, Kaffee oder auch ein Bier als Durstlöscher wählt, kann jeder für sich selbst entscheiden – es gibt ja schließlich genügend eigene Erfahrungen damit aus den vergangenen Jahrzehnten.   

Wenn man Stachel- oder Johannisbeeren ausschließlich im Stehen erntet, ist diese Arbeit keine rückenfreundliche Angelegenheit. Das gleiche gilt für die Schnittarbeiten. Ich mache es mir deshalb regelmäßig auf einer Sitzgelegenheit gemütlich. So wird die ganze Sache entspannter und die geernteten Früchte laufen kaum Gefahr beschädigt zu werden, da die Schüssel nicht weit von meinen Händen entfernt auf dem Boden steht und die Beeren somit eine wesentlich niedrigere Fallhöhe haben. Da Sitzen aber nicht optimal bei Rückenproblemen ist, stehe ich hin und wieder auf, um im Stehen weiterzumachen; denn auch hierbei ist der Wechsel der Körperposition wichtig.   

Was bei der Gartenarbeit in jedem Alter sinnvoll ist, dass nämlich bei Arbeiten in der Höhe (Bäume schneiden oder Früchte ernten) kein falscher Ehrgeiz entwickelt werden sollte, um auch noch den höchsten Ast zu erreichen, ist im Alter noch viel stärker zu berücksichtigen, da ein möglicher Sturz rasch zum absoluten Ende der Garten-Karriere führen kann.  Dass der Gebrauch einer Leiter ausschließlich bei deren festem Stand erfolgt, sehe ich als Selbstverständlichkeit an. Sobald der sichere Stand durch Mäuselöcher oder weiches Erdreich zu einer wackeligen Angelegenheit werden könnte – Aktion abblasen! Da können wir lieber den tierischen Gartenmitbewohnern was Leckeres gönnen. Alternativ kann ein stabiles, breites und absolut waagerecht liegendes Brett unter den Füßen der Leiter die Standsicherheit erhöhen. 

Es führt kein Weg daran vorbei: Der schon so lange genutzte Körper von uns älteren Leuten muss pfleglich behandelt werden, um möglichst noch lange aktiv sein zu können. Ein Garten kann im besonderen Maße die Voraussetzungen dazu schaffen: Bewegung an der frischen Luft, Versorgung mit frischem, unverarbeitetem Obst und Gemüse, feste Aussaat-, Pflege- und Erntetermine (die Struktur ins Leben bringen) und die Beschäftigung mit Gartenplanung, Düngung sowie Pflanzenpflege (die einen wachen Geist verlangen). So wird der Garten quasi zum Allround-Gesundheitszentrum, das in jedem Alter genutzt werden kann.

Ein Bekannter hat einmal behauptet: „wenn man alles weiß, stirbt man.“ Wenn das wirklich stimmt, würde sich das Leben also automatisch verlängern, wenn man etwas vergisst. Das ist doch mal eine tröstliche Perspektive – für alle Altersgruppen!           

Manfred Kotters   

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