Mitesser

­­Nein, natürlich geht es hier nicht um die schwarzen Pünktchen im Gesicht, die wir in unserer pubertären Jugendzeit gehasst haben; schließlich haben Sie, liebe Leserin und lieber Leser, eine Gartenzeitschrift in der Hand. Bei „Mitesser“ im Garten denken wir Hobbygärtner schon eher an so unliebsame Zeitgenossen wie Schnecken, Wühlmäuse oder (hauptsächlich in der Erntezeit) Nasch-Vögel.   

Wenn ich aber etwas intensiver über das Thema Essen aus dem oder im Garten nachdenke, merke ich schnell, dass ich zwar einerseits der Überzeugung bin, dass mein Nutzgarten in erster Linie mir nutzen soll, dass aber andererseits eigentlich tagein, tagaus, ganz viele Lebewesen in meinem Garten „essen“. Das fängt bei den Mikroorganismen, Kleinlebewesen und Pilzen an, die für die Zersetzung der organischen Stoffe sorgen und hört bei den Säugetieren und Vögeln auf, die uns mal nützen und mal schaden. Dabei fällt mir auf, dass ein Garten zwar in die Kategorie „Kultur“ und nicht „Natur“ gehört, aber die Natur trotzdem kräftig mitmischt; hier sind nämlich sowohl die Naturkreisläufe als auch das Verhalten der Lebewesen untereinander nicht außen vor: wenn wir Menschen nicht (chemisch) eingreifen, vermehren sich zum Beispiel anfangs die Blattläuse mithilfe der Ameisen, werden aber im Laufe der Zeit von den Marienkäfern (und deren Larven), Schwebfliegenlarven oder auch Vögeln stark dezimiert oder sogar komplett beseitigt. Da beißt die Maus keinen Faden ab: im Garten ist es auch ohne Menschen ein ewiges Fressen und Gefressenwerden.   

Wenn die Larven der Stachelbeerblattwespe meinen Stachelbeerstrauch innerhalb von kurzer Zeit kahlfressen wollen oder Raupen meine Feldsalaternte merklich dezimieren, finde ich das nicht lustig und greife, soweit ich sie denn finde, mit den Fingern oder einer Pinzette korrigierend ein. Beim Feldsalat sind sie allerdings so gut getarnt, dass nur der Kollege Zufall mir eine Raupe zeigt, die ich dann umgehend entferne. Die mit kleinen Löchern versehenen Blätter der Stachelbeere dagegen weisen mir recht offensichtlich den Weg, wo ich die kleinen unersättlichen Larven finden kann. Mit gummibehandschuhten Fingern sorge ich dann für ihr Lebensende mittels Zerquetschung. Doch nicht jede Raupe im Garten wird, wenn ich sie entdecke, von mir gemeuchelt. Wenn mal große, gepunktete Raupen sich am Möhren-, Dill- oder Fenchelgrün satt fressen, schaue ich sie lediglich bewundernd an und lasse sie in aller Ruhe ihre Mahlzeit beenden; denn dann habe ich das Glück, dass ein seltener Schalbenschwanzschmetterling dort Eier gelegt hat, woraus dann die Raupen geschlüpft sind. Es gibt also in meinem Garten sowohl gutes als auch schlechtes Fressen.  

Aber es gibt auch vierbeinige Mitesser, die, wenn sie mal einen Garten besuchen, richtig zulangen: ich meine Rehe. Imposante Tiere, die man recht selten sieht und auch recht selten sehen möchte – insbesondere als Autofahrer, da diese Tiere ohne Rücksicht auf (eigene) Verluste eine Straße blindlings überqueren. Aber das ist ein anderes Thema. Da es recht große Tiere sind, haben sie einen entsprechenden Appetit und verlassen nach ihrem Mahl einen Nutzgarten, der dann oftmals diesen Namen nicht mehr verdient. Fazit: Rehe sind schön anzusehen; aber bitte nur in Wald und Feld.   

Einige Stellen in meinem Garten dienen jedoch speziell der Fütterung. Die Kornelkirschen sorgen zum Beispiel schon in den ersten Kalendermonaten dafür, dass der Hunger der Bienen meiner Frau oder aller sonstigen Insekten gestillt werden kann. Mit ihren gelben Blüten sind sie zudem ein wunderschöner Forsythienersatz, da Forsythien den Insekten aber auch rein gar nichts zu bieten haben. Im Herbst leuchten zudem die länglichen, roten Früchte, die ich gerne den Amseln überlasse, da in deren Innern recht große Steine das Mengenverhältnis zum Fruchtfleisch negativ beeinflussen und zugleich der Geschmack der Marmelade für mich eher in den Bereich „Durchschnitt“ gehört. Auch die kleinen Früchte meines Zierapfels „Sentinel“, die von mir verwertet werden könnten, überlasse ich gerne den Amseln, die diese Äpfelchen allerdings mal mehr und mal weniger gerne annehmen. Warum auch immer.   

Apropos Amseln und Äpfel. Diese schwarzen Gesellen haben einfach noch nicht begriffen, dass es in meinem Garten zwei Sorten Äpfel gibt: den eben beschriebenen Zierapfel „Sentinel“ für’s fliegende Volk und den Apfel „Gloster“ für uns Menschen. Wenn ich die besten Äpfel am Baum nicht in Fruchtschutzbeutel einpacken würde, würde die Erntemenge Richtung Null tendieren. „Gloster“ ist nämlich eine späte Sorte, die somit lange am Baum hängt und mit ihrer roten Farbe eine starke Lockwirkung entfaltet – nicht nur für uns! Das Gemeine dabei: meine zwei Schwestern (sie wohnen rund einen Kilometer bzw. rund 15 km Luftlinie entfernt) haben auch Apfelbäume mit roten Früchten – doch Amselfraß ist für sie etwas völlig Neues. Zwischen Amseln gibt es demnach recht wenig Kommunikation, zumindest was das Essen betrifft – vielleicht ist Egoismus und Futterneid sogar bei den Vögeln recht verbreitet. Wer weiß?!  

Eine andere Art von zweibeinigen Mitessern ist leichtfüßig und flink unterwegs. Zuweilen findet man sie in allen Teilen des Gartens – insbesondere, wo Naschfrüchte zu finden sind: Kinder. Sie sind positive Ernteverminderer, da sie hier im Garten die (zuweilen seltene) Gelegenheit haben, den wahren Geschmack von Erd-, Brom- oder Himbeeren kennenlernen. Immer wieder ist es zudem schön zu sehen, wie erstaunt sie sind, wenn sie sich „Grünzeug“ (hier: Fenchel) in den Mund stecken und Lakritzgeschmack verspüren. Da merken sie mit der eigenen Zunge, dass Leckeres nicht nur aus Tüten, Dosen oder Gläsern kommt, sondern dass auch eine pure, unverarbeitete Pflanze Genuss sein kann.   

Fazit: Essen im Garten hat unwahrscheinlich viele Gesichter!  

Manfred Kotters   

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